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Organisationen sind ein lebendiges System. Das Viable System Model (VSM) beschreibt die Komplexität, Systeme und Umwelt der Unternehmen. Dabei stellt das VSM Modell Organisationen nicht im klassischen Organigramm, sondern als lebenden und lernenden Organismus dar. Das Model hilft uns, wenn wir unsere Strukturen und Prozesse analysieren wollen.

Starre Organisationen kommen an ihre Grenzen

Die Arbeitswelt ist in vielen Bereichen schnelllebiger und komplexer geworden, und dadurch befassen sich viele Unternehmen mit Agilität. Die Tatsache, dass ein Team in seiner Zusammenarbeit und Führung im Zusammenspiel mit dem Umfeld schon sehr komplex und dynamisch ist, lässt das Thema Agilität nur sehr schwer greifbar machen, von einem ganzen Unternehmen ganz zu schweigen. Es geht um Organisation, Struktur, Führung, Prozesse und sogar Werte [2]. New Work und Agilität bedeuten nicht, einen Open-Space Arbeitsplatz einzurichten und eine Tischtennisplatte in den Raum zu stellen.

Alte, historisch während des Taylorismus gewachsene Organisationsstrukturen basieren auf einer planbaren, vorhersehbaren Welt. Die Planung der Ressourcen für die nächste Periode hat in der Vergangenheit das Zentrum der Organisation übernommen. Diese effiziente Durchführung war der Schlüssel zum Markterfolg. Durch die schnelllebige, komplexe Welt, in der Technologien, Trends und die Umwelt der Unternehmen sich ständig ändern ist es wichtiger geworden sich möglichst schnell an diese Änderung anpassen zu können und handlungsfähig zu bleiben. Eine zentral gesteuerte Organisation ist in der Regel sehr träge. Entscheidungen werden erst vom Zentrum (Unternehmensspitze) an die Peripherie (alle anderen Ebenen) herangetragen. Die logische Konsequenz wäre den operativen Hebel mehr in den Fokus der Peripherie zu setzen. Die Organisation als System muss schlichtweg lebendig sein.

New Work hinterfragt Hierarchien – brauchen wir keine?

Auf der anderen Seite werden beim Thema Agilität und New Work auch immer Hierarchien in Frage gestellt und angegriffen. Durch die Verschiebung von Entscheidungskompetenz bzgl. Anpassung an neu gegebene Umstände in der Umwelt, müssen die operativen Teams befähigt werden, die Entscheidung zu treffen. Sie können schneller und effektiver reagieren. Der Weg, den Informationen von der Peripherie bis ins Zentrum und zurück dabei gehen müssen ist häufig zu lang. Hierarchische, zentralisierte Einheiten sind notwendig, um bspw. die strategische Ausrichtung der Organisation zu gestalten. Wir brauchen effektive, sinnvolle Hierarchien in Form von Organisationseinheiten. Diese sorgen durch Informationsfluss für eine Verbindung. Die einzelnen Subsysteme können besser gesteuert werden.

Das Viable System Model (VSM)

Bei den vielen gängigen Ansätzen und Methoden, die mittlerweile propagiert werden, hilft es, wenn wir das Team als Akteur in einem System sehen. So können wir es greifbar machen. Das VSM Modell (Viable System Model) bietet eine Art Meta-System für einzelne Teilakteure einer intelligenten und lernenden Organisation und deren Zusammenspiel und verdeutlicht sehr gut, welche Instanzen es braucht, um als Organisation effizient, flexibel und agil arbeiten zu können. Das Modell stammt von Stafford Beer und wurde zuallererst 1972 in seinem Buch „Brain of the Firm“ veröffentlicht. Grundsätzlich handelt es sich um ein Modell zur Gestaltung von Organisationen aller Art, um die Komplexität im Zusammenspiel von Umwelt und System bewältigen zu können.

Im Zuge der aktuellen Diskussion lassen sich einige Aspekte von Agilität in diesem System wiederfinden, ohne die Struktur zu verlieren. Mark Lambertz hat das Viable System Model in seinem Buch „Die intelligente Organisation“ nun für die heutige Zeit neu aufgegriffen und am Beispiel der deutschen Fußballnationalmannschaft erläutert [1].

Viable System Model Beispiel – wie funktioniert eigentlich die Fußballnationalmannschaft?

Beim Stichwort Führung im modernen Kontext wird gerne die Parallele zum modernen Fußball-Trainer á la Jürgen Klopp oder Jogi Löw gezogen. Es geht weniger darum zu steuern und jede mögliche Spielsituation einzustudieren und bei Bedarf das Repertoire abzuspulen. Das Spiel ist komplex, unvorhersehbar und erfordert zu einem gewissen Maß schnelle Anpassungen. Der Trainer arbeitet daher mehr als Coach und befähigt die Spieler*innen bestimmte Systeme zu spielen und trifft wichtige Entscheidungen, fördert aber auch die Spieler*innen bestmöglich individuell, vermittelt Werte und gibt dem Spiel eine Bedeutung, um die Spieler zu motivieren und mit dem Rüstzeug auszustatten, das Spiel bestmöglich in allen Situationen meistern zu können. Die Parallele wird deutlich?

Auf einer Ebene höher ist die Mannschaft allerdings nur ein Akteur im Zusammenspiel mit ihrer internen/externen Umwelt und hat bestimmte Steuerungsinstanzen. Das VSM Modell systematisiert diese wunderbar.

Abbildung 1: VSM in Anlehnung an: Mark Lambertz – Die intelligente Organisation [1]

Die Umwelt

Zunächst ist es wichtig sich der Umwelt im Viable System Model bewusst zu werden. Nur wenn wir die Umwelt mit Bedürfnissen und ihren Akteuren kennen, können wir Prozesse und Strukturen aufsetzten, die uns helfen, mit ihr zu interagieren. Im Falle der Nationalmannschaft ist das naheliegendste erstmal der Gegner bzw. andere Mannschaften in der gleichen Liga oder dem gleichen Turnier. Aber auch die Fans, die Verbände, Sponsoren und sogar Medien gehören zur Umwelt.

System 1: Operations

Hierbei handelt es sich um die wertschöpfenden Einheiten in einer Organisation. Eine Einheit aus Subsystem 1 ist verantwortlich für die Erfüllung eines Prozesses, eines Teilbereichs oder hat den Zweck einer Organisationseinheit. Es ist selbstständig lebensfähig und muss mit der Komplexität und Dynamik seiner Umwelt umgehen. Im genannten Fußball-Kontext ist dies ohne Zweifel die Mannschaft. Hier findet der essenzielle Bezug zur Umwelt und die Wertschöpfung statt. Sie muss auf dem Platz die Herausforderungen bewältigen, auf Änderungen reagieren und eigenständig die Ziele erreichen.

System 2: Coordination

Das zweite System ist für die Koordination des ersten Systems zuständig und ist als eine Art Metasystem für die einzelnen Subsysteme zu verstehen. Hauptaufgaben sind die Verwendung von Synergien, Koordination von Prozesse und Orchestrierung von Organisationseinheiten. Hierzu zählen vor allem gewisse Routinen und Prozesse, welche das Funktionieren der Zusammenarbeit im System 1 und einen reibungslosen Ablauf garantieren. Dies können Reisepläne, Taktikschulungen oder das Training sein. Im besten Falle übernimmt der (Trainer)-Stab viele dieser Aufgaben. Sie sind die Hauptakteure in System 2.

System 3: Optimization

Das dritte System im Viable System Model steht über den Systemen 1 und 2 und dient der Optimierung bzw. Verbesserung der bestehenden Prozesse und Strukturen. Es dient weiterhin als Bindeglied zwischen dem operativen Geschäft und dem Top Management. Durch die Integrierung in die Gesamtorganisation und dem permanenten Optimierungsgedanken wird zusätzlich für Stabilität gesorgt. Komplettiert wird das System 3 durch das Teilsystem 3*. Dieses Subsystem fungiert als eine Art Audit-System, wo die unterstellten Systeme überprüft, hinterfragt und optimiert wird. Dieses System dient als Informationskanal von den unterliegenden Systemen zum System 3.

Nun kommt der Trainer bzw. die Trainerin ins Spiel. Diese Position ist dafür zuständig, die bestmögliche Selbstorganisation der unterliegenden Subsysteme zu ermöglichen, damit diese den Zweck – nämlich Spiele zu gewinnen – bestmöglich erfüllen können. Dabei geht es um Ressourcenverteilung genauso wie um die Formulierung von Zielen oder um die Vermittlung von Spielzügen und Kompetenzen, damit Subsysteme 1 und 2 bestmöglich selbstverantwortlich dem Zweck der Organisation nach handeln können. Ein wichtiger Aspekt ist dafür ist das Audit-System 3*. Egal ob direkt am Trainingsplatz nach der missglückten Ecke oder später bei der Videoanalyse. In jedem System treten Fehler auf und eine vernünftige, regelmäßige Aufarbeitung mit einer gesunden Fehlerkultur ist im Sport genauso wichtig wie in modernen Organisationen. Dies ist unter anderem auch ein wichtiger Eckpfeiler von agilen Methoden wie bspw. Scrum, wo eine Retrospektive zur Bewertung der letzten Periode und das Hinterfragen der Methodik zur Feinjustierung unverzichtbar sind.

System 4: Development

Alle bisher beschriebenen Subsysteme haben gemeinsam, dass sie sehr nah am operativen Geschäft hängen und (un)-mittelbar an der Wertschöpfung beteiligt sind. Das 4. System hingegen richtet den Blick nach vorne. Ziel ist die Weiterentwicklung der Organisation. Anhaltspunkte dafür sind natürlich auch die Veränderungen an der Umwelt. Im besten Falle besteht die Möglichkeit diese sogar mitzugestalten bzw. zu beeinflussen. So wird sichergestellt, dass sich die Organisation strategisch weiterentwickelt.

Zum 4. System lassen sich die Geschäftsfeldern oder die Marketingstrategie (extern) genauso wie die Entwicklung der Mitarbeiter (intern) zuordnen. Innovationsprojekte werden gestartet oder auf neue Marktchancen reagiert. Der Wechsel vom operativen ins strategische Geschäft wird hier ganz deutlich. Nun zurück zum Sport. Die Funktion des System 4 wird von vielen Akteuren erfüllt. Sicherlich ist auch der/die Bundestrainer*in verantwortlich dafür vorausschauend zu planen, allerdings sorgen Scouts dafür, dass frühzeitig neue Spieler rekrutiert werden. Auch muss eine Erfüllung des Zwecks der Kommunikation in diesem System stattfinden. In diesem System sind einige Akteure bei der Gestaltung des Soll-Zustands beteiligt.

System 5: Valuation

Um den Maßnahmen aus den Systemen 3 und 4 den geeigneten Rahmen zu verleihen, wird nun System 5 eingeführt. Ziel hierbei ist es Regeln, Werte und Normen vorzugeben, nach denen sich die Organisation ausrichtet, um so die Identität zu schärfen. Zusätzlich können dadurch die Rahmenbedingungen für Bewertungskriterien vorgegeben werden. Das System 5 bildet das normative Management, welches die moralische und ethische Gestaltung beinhaltet und als autoritäre Identität fungiert. Der DFB erfüllt in diesem Modell diese Rolle. Es geht hierbei um die Vision und die Ausrichtung für die Zukunft.

Steuerung durch Information

Ein wichtiger Aspekt des Viable System Model ist die Funktion von Information. Informationen steuern das System. In der Wertschöpfung fallen Informationen an, mit denen in darüberliegenden Systemen Maßnahmen zur Justierung, Optimierung und Ausrichtung angestrebt werden können. Auch sorgt eine Art Audit dafür, dass die bestehende Funktionalität ständig hinterfragt und somit verbessert werden kann. Wichtige Impulse für die Veränderungen liefert dafür die Umwelt. In der heutigen Zeit, in der Veränderungen in der Umwelt schneller geschehen und Veränderungen disruptiver sind, ist die schnelle Aufnahme und Reaktion auf eben diese Veränderungen ein wichtiger Faktor zum nachhaltigen Bestehen einer Organisation am Markt.

Viable System Model – wie uns das VSM-System hilft

Sicherlich bildet das VSM nicht alle Aspekte agilen Arbeitens ab, es ist jedoch ein gutes Richtwerk, um einer modernen Organisation die Struktur zu geben, sich auf heutige Herausforderungen vorzubereiten. Einige Aspekte wie eigenständige Teilsysteme bzw. Teams, welche mit Selbstverantwortung dem Organisationsziel dienen, die Einführung eines Audit-Systems und die moderne Führung, ähnlich der eines Fußballtrainers, lassen sich jedoch auch in den Diskussionen um agile Arbeitsweisen und New Work wiederfinden.

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[1] Lambertz, Mark. Die intelligente Organisation: das Playbook für organisatorische Komplexität. BusinessVillage, 2018. [2] Häusling, André, ed. Agile Organisationen: Transformationen erfolgreich gestalten-Beispiele agiler Pioniere. Haufe-Lexware, 2017
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  1. TheVSMTest 13. März 2024 at 19:59 - Reply

    Schau Dir den Viable System Model Test an.
    https://www.thevsmtest.org/